Alles über die Delphi-Technik

Entscheidungen unter Unsicherheit zeichnen sich dadurch aus, dass sich aufgrund fehlender und unvollständiger Daten oder nicht vorhandener geordneter Verfahren, Daten kaum objektiv zu einer Lösung zu kombinieren lassen. Es wurden daher Methoden entwickelt und versucht die subjektivem Elemente in diesem Prozess zu eliminieren. Die Delphi-Technik ist eine solche Methode.

In von Unsicherheit geprägten Situationen ist eine informierte Beurteilung oftmals wichtiger als nur schwer zu ermittelnde quantitative Daten. Im allgemeinen werden solche Beurteilungen von Experten entwickelt, von denen angenommen wird, dass sie alle verfügbaren Daten zu der Fragestellung besitzen. Somit wird theoretisch versucht, objektive und subjektive Einschätzungen zu kombinieren. Zudem wird hierzu in der Regel eine Gruppe von Experten befragt und nicht nur ein Einzelner, getreu dem Motto ‚Zwei Köpfe wissen mehr als einer‘.

Die Delphi-Technik unterscheidet sich in drei Merkmalen von gewöhnlichen ‚runden Tischen‘ und Panelbefragungen:

  1. Anonymes Antworten,
  2. Wiederholung und kontrollierte Rückmeldungen,
  3. Statistische Annäherung der Gruppe


Normalerweise treffen sich die Teilnehmer eine Delphi-Befragung nicht persönlich. Sie werden jedoch individuell befragt und ihnen wird auch ohne Nennung von Namen mitgeteilt, welche Antworten andere Teilnehmer der Befragung gegeben haben. Dieser anonyme Ansatz wird gewählt, um die nachfolgend beschriebenen typischen Probleme einer Gruppensituation zu vermeiden:

  • Die Gruppe wird durch ein Mitglied beeinflusst, das aufgrund von Rang, Reputation oder Persönlichkeit dominiert.
  • Ein Gruppenmitglied fürchtet ’sein Gesicht zu verlieren‘, wenn es von einer zuvor öffentlich vertretenen widersprüchlichen Meinung abweicht.
  • Den Anhängereffekt (Anschließen an die Mehrheit) führt häufig zur Annahme von Lösungen, die nicht optimal sind.
  • In Gruppendiskussionen gibt es viel Hintergrundrauschen, welches für die Diskussion irrelevant ist; Nebenthemen, die mit der zentralen Frage nichts zu tun haben.
  • Es ist organisatorisch zu schwierig, die geeigneten Experten gleichzeitig an einen Ort zu versammeln.

In der Forschung hat sich gezeigt, dass anonymes Antworten für die Vorhersage von zukünftigen Trends für bestimmte technische Bereiche und zur Beantwortung faktischer technischer Fragen besser geeignet sind als persönliche Zusammenkünfte.

Es gibt jedoch keinen Zweifel daran, das intellektuelle Interaktionen für die Bildung von Beurteilungen wertvoll sind. Daher ist das zweite Merkmal der Delphi-Technik wichtig: Interaktion ohne persönliche Kontakte. Die Antworten der ersten Runde werden tabellarisch dargestellt und den anderen Teilnehmern übermittelt. Sie werden gebeten, nach Studium und unter Berücksichtigung der anderen Antworten noch einmal zu antworten. Dieser Feedback- und Antwortzyklus kann einige Male durchlaufen werden. Manchmal werden die Teilnehmer auch gebeten, Gründe für bestimmte Meinungen zu äußern oder weitere Fragen zu formulieren oder nach weiteren Daten zu fragen. So können neue Ideen in die Gruppe gebracht werden und die Teilnehmer können ein Gefühl für den aktuellen Standpunkt der Gesamtheit entwickeln. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Person, welche die Antworten der Teilnehmer zusammenfasst, bewusst oder unbewusst die Gruppe durch die Auswahl beeinflusst.

Das dritte Merkmal der Delphi-Technik ist die Formulierung eines einzelnen Gruppenresultats anstelle der tabellarischen Darstellung aller Antworten. Die individuellen Antworten werden hierbei so zusammengefasst, dass jede Meinung zum Gruppenergebnis beiträgt. Die exakte Methode der Zusammenfassung kann ein schwieriges Unterfangen sein, insbesondere wenn das Ergebnis nicht numerisch zu fassen ist.

Eine Abwandlung der Delphi-Technik ist die Erstellung einer Rangliste von Experten und eine entsprechende Gewichtung ihrer Meinungen bei der Ergebnisformulierungen. Dabei kann es jedoch genauso schwierig sein, geeignete Kriterien für die Erstellung der Rangliste zu finden

Kritik der Delphi-Technik

 Bei fehlenden Fakten kann man den Beurteilungen von Experten in der Regel besser trauen als denen von Nicht-Experten. Dies ist durch statistische Theorie und praktische Experimente bewiesen. Die Auswahl der Experten ist jedoch von entscheidender Bedeutung für die Ergebnisse, sowohl hinsichtlich der Wissensfelder als auch hinsichtlich der Namen. Die prominenteste Anwendungen der Delphi-Technik befindet sich in der technischen Vorhersage. Finanzexperten werden zur Voraussage der Marktbedingungen in 5 Jahren befragt, während Technologieexperten beurteilen in wie vielen Jahren mit einer bestimmten Entwicklung in einer Technologie zu rechnen ist. In diesen Fällen ist die Auswahl der Experten offensichtlich. Doch nicht ein allen Feldern sind die richtigen Expertentypen so leicht zu identifizieren.

Eine zweite Schwäche der Delphi-Technik ist ihre tendenzielle Vernachlässigung von Fakten. Die Delphi-Methode ist für Situationen gedacht, in denen die verfügbaren Informationen selbst für die Entscheidungsfindung unzureichend sind, dennoch ist es immer noch wünschenswert, verfügbare Informationen in den Entscheidungsprozess einzuschließen. Die Delphi-Methode stellt nicht sicher, dass die Befragten Faktendaten für der Bildung ihrer Beurteilungen verwenden. Sie werden auch nicht aufgefordert, neue Daten zu ermitteln oder bestehende Daten zu verwenden. In Experimenten konnte gezeigt werden, dass zusätzlich zu den Fragen übermittelte, relevante Fakten, die Antworten verbessern konnten. Die Auswahl der Fakten birgt jedoch das Risiko der Beeinflussung. Die Nutzung von Daten sollte in einem Entscheidungsfindungsprozess maximiert werden.

Eine weitere Gefahr der Vernachlässigung von Fakten besteht darin, eine verbreitete Falschwahrnehmung weiter zu behalten. Wissenschaftlicher Fortschritt basiert auf Fakten, die durch eine genaue Betrachtung der Daten häufig eine lange herrschende Meinung widerlegen. Wenn Entscheidungen aber alleine von Beurteilungen abhängen, ist die Erkennung solcher Fehler unwahrscheinlich. Viele Managemententscheidungen verlangen Werturteile, die höchstwahrscheinlich durch Vorurteile beeinflusst werden – selbst bei Experten oder wenn organisatorische Rahmenbedingungen, die eine neutrale Beurteilung extrem schwierig machen.

Zu guter Letzt, tendiert der Delphiansatz dazu, Probleme dadurch zu sehr zu vereinfachen, dass Besonderheiten eines Systems isoliert und als unabhängige Einheiten betrachtet werden. Als Konsequenz ergibt sich daraus, dass die Meinungen zu den isolierten Stücke bestehende Beziehungen der Stücke untereinander auslassen. Der Systemansatz geht verloren und wird übersehen.

 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es fehlerhaft wäre anzunehmen, die Delphi-Technik könne in allen Situationen angewandt werden und die Ergebnisse wären objektiv abgeleitet. Wissenschaftliche Ansätze müssen sollten wenn möglich ebenfalls in Betracht gezogen werden. Wenn ausschließlich Expertenrat als Informationsquelle zur Verfügung steht, ist die Delphi-Technik eine guter Weg, um die Meinungen zu erfahren und zu kombinieren. Es sollte beachtet werden, dass die Meinungen subjektiver Natur sind, und diese durch statistische Aggregation nicht objektiviert werden können. Es sollten die besten verfügbaren Experten befragt werden.


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