Plussing

Wenn in einer Gruppe Ideen oder Vorschläge diskutiert oder debattiert werden, können die Emotionen schnell hochkochen. Möglicherweise schweift man dann auch ganz schnell vom ursprünglichen Thema ab und persönliche Angriffe nehmen Überhand. Daher besagt eine der ersten Regeln des klassischen Brainstormings, „keine Kritik an den hervorgebrachten Ideen zu üben“. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen lassen jedoch den Schluß zu, dass eine kritische Betrachtung der genannten Ideen schon während des Brainstormings für die Ergebnisse sehr förderlich sein kann. Und schon viele große Ideen sind aus Meinungsverschiedenheiten entstanden. Jeder sieht die Dinge unterschiedlich und daher ist es nur natürlich, wenn Ideen auch unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Wenn sich alle einig sind, könnte man es auch so interpretieren, dass es im Team einfach zu wenig Ideen gibt oder, dass das Team den eigenen Zusammenhalt und Einigkeit untereinander höher bewertet als die kritische Beurteilung von Ideen. Somit kann fehlende Kritik hinderlich sein, insbesondere dann, wenn es um die Entwicklung kreativer Ideen geht.

Im Animationsstudie Pixar, das für so erfolgreiche Animationsfilme wie „Toy Story“ oder „Findet Nemo“ steht, wird daher eine Technik angewendet, die sich auf Englisch „Plussing“ nennt. Dieser Name leitet sich vom mathematischen Plus (+) ab, dem Symbol für die Addition, dem Hinzufügen. Praktisch sieht es so aus, dass Mitarbeiter, die eine Arbeit/Idee kritisieren möchten, den bestehenden Ansatz als Ausgangspunkt nehmen und eine neue Idee oder einen Verbesserungsvorschlag hinzufügen müssen. Die Kritik muss also ein ‚Plus‘ zum Ursprünglichen enthalten. Die bestehende Arbeit wird als Ausgangspunkt genommen und ein Teilaspekt durch einen neuen Vorschlag verbessert. Auf diese Weise bekommen die Sitzungen bei Pixar einen positiven Ton und es findet eine direkte Weiterentwicklung der kritisierten Ideen hin zu verbesserten Versionen statt. Natürlich fühlen sich die Besprechungen weiterhin wie kleine Kämpfe um die jeweiligen Ideen an, aber es ergeben sich durch das Plussing gesunde, respektvolle Meinungsverschiedenheiten, welche die Teams und Ideen selbst wachsen lassen. Durch die permanente Diskussion der Ideen kann ein Wettbewerb zum Weiterentwicklen der Ideen und zum Ausprobieren neuer Denkansätze entstehen.

Beim Plussing geht es nicht einfach nur darum zu sagen „Das gefällt mir so, aber wenn man das und das noch hinzufügen würde, wäre es besser.“, sondern Ausgangspunkt ist vielmehr die Frage „Was würde es noch bessern machen?“ bzw. – falls es schon gut ist – „Was würde es richtig großartig machen?“. Die bestehende Arbeit soll beim Plussing nicht bewertet werden. Man akzeptiert beim Plussing das Bestehende ‚und‘ fügt dem etwas hinzu. Statt eines ‚aber’s wird ein ‚und‘ verwendet: „Mir gefällt dieses Detail in dem Gesamtwerk sehr gut und wie wäre es, wenn wir die Ecke rot gestalten würden?“ . Das ‚und‘ eröffnet neue Möglichkeiten für eine weitere Diskussion der Ideen und Gedanken, während das ‚aber‘ im ersten Satz dagegen bereits eine implizite negative Beurteilung enthält. Außerdem wird bei dieser Technik nicht die gesamte Idee kritisiert, sondern immer nur ein Teilaspekt. Die bestehenden guten Punkte bleiben so erhalten und die schwächeren Eigenschaften werden nach und nach verbessert.

Um eine gesunde, respektvolle und kreative Atmosphäre zu behalten ist es wichtig, auf die ‚richtige‘ Art und Weise um die Ideen zu streiten. Dies bedeutet, nur die bestehenden Idee selbst zu kritisieren, und nicht die Person, welche die ursprüngliche Idee hervorgebracht hatte. Kritik sollte unbedingt sachlich bleiben und auf faktischen Informationen basieren. Kritik am Charakter oder der Persönlichkeit eines Teilnehmers darf in der Gruppensitzung nicht angebracht werden, wohl aber an der hervorgebrachten Idee oder dem Vorschlag. Dennoch besteht das Risiko, dass Mitglieder der Gruppe sich emotional sehr stark mit den von ihnen vorgebrachten eigenen Ideen identifizieren. Diese könnten sich trotz sachlich vorgebrachter anderer Meinungen, schnell persönlich angegriffen fühlen. Daher muss in der Erläuterung der Vorgehensweise ganz unmissverständlich klar gemacht werden, dass Kritik an den vorgebrachten Ideen – zwingend mit den entsprechenden Verbesserungsvorschlägen – zur der Arbeitsmethode gehört und für den Entwicklungsprozess ausdrücklich erwünscht und für das Gesamtergebnis sehr nützlich ist. Kritik soll auf die Sache gerichtet sein, und nicht auf die Teilnehmer.


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